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REISEERINNERUNGEN

ANFANGEN
Mitte der 70er Jahre wurde jeweils am Sonntag Abend auf Ö3 die Sendung „Melodie Exklusiv“ ausgestrahlt. Die von Autor Alfred Komarek gestaltete und von Ingrid Gutschi und Meinrad Nell gesprochene Sendung verleitete zum Träumen. Vielleicht hat damit irgendwie alles angefangen….

Istanbul, 1979
Unterhalb des Sultan Ahmed, den Bahngeleisen entlang, war damals Niemandsland, bevölkert von Obdachlosen und streunenden Hunden. Tagsüber waren die Hunde still, aber kaum war es dunkel geworden, ging ein Gebelle und Geheule los, das die ganze Nacht andauerte. Waren die Hunde endlich still geworden, begannen die Hähne zu krähen. Und gleich darauf schrie ein scheppernder Muezzin vom Minarett.
Dieses nächtliche Konzert begann nach der österreichischen Grenze und fand überall statt. In Stadt und Land, bis nach Nepal, Indien hinein, und in vielen Ländern Südostasiens.

Backpackerhotel
Als wir zum ersten Mal nach Istanbul kamen hatten wir keine Ahnung, wohin. Vom Bahnhof marschierten wir mit unserem Gepäck schwitzend und keuchend Richtung Sultan Ahmed. Den nächsten westlich aussehenden Burschen fragten wir in unserem mageren Englisch nach einer günstigen Unterkunft. Seine Antwort: «Was wotsch?»
Sultan Ahmed war damals voll von billigen Hotels. In unserer Absteige gab es nur eine Gemeinschaftsdusche. Das bedeutet, man «duschte» zusammen mit anderen, Männlein und Weiblein durcheinander.  Der Duschraum war stockdunkel, man stand in zentimeterdickem Schlamm, und irgendwo rieselte permanent etwas Wasser von der Decke.

Puddingshop
Schnell entdeckten wir auch den Puddingshop. Das war der zentrale Treffpunkt für Backpacker auf dem Weg von West nach Ost und umgekehrt. Es gab da so eine Anschlagwand, an der jeder Nachrichten hinterlassen konnte. Man fand Mitfahrangebote nach Kathmandu und Indien, Warnungen für polizeilich gesuchte Personen, Treffpunktvereinbarungen usw.
Natürlich gab’s auch div. Puddings und Kuchen und anderes zu essen.
Das WC war winzig und eklig. Ich meldete am Buffet, dass das Papier alle war. Die Antwort kam umgehend: «No toilet paper, use your hand!» Wir kauften darauf einen Vorrat an WC Papier, aber bald gewöhnten wir uns ans «use your hand».
Der Puddingshop existiert heute noch, ist allerdings zur exklusiven Adresse im Sultan Ahmed geworden.

Travel Agencies
Diese fand man an jeder Ecke. In grossen, farbigen Buchstaben waren Reiseziele und Preise in die Fenster geklebt und auf Tafeln vor dem Eingang geschrieben: Teheran, Baghdad, Kabul, Delhi, Calcutta, Bombay, Kathmandu… Die Welt stand offen, alles war möglich. Kaum 100 Dollar kostete der Weg nach Indien!

Mehrmals war die Abfahrt nach Teheran verschoben worden.
Immer wieder mussten wir in der Agency vorbei gehen und nach dem Stand der Dinge fragen. Erst viel später erfuhren wir, dass im Iran immer noch Scharmützel zwischen Schah- und Khomeini Anhängern stattfanden. Vor und hinter unserem Bus fuhren dann auch Sicherheitskräfte in PW’s mit.

Anatolien
Auf dem Weg von Istanbul nach Teheran hielt der Bus für einen Pausenstop in einem ärmlichen Dorf. Als ich fotografieren wollte, wurden wir von Kindern umringt, beschimpft und mit Steinen beworfen. Plötzlich tauchte eine junge Frau auf, vertrieb die Kinder und entschuldigte sich bei uns in perfektem Schweizerdeutsch. Sie war in der Schweiz aufgewachsen.


Teheran, 1979
Wir erreichten Teheran Mitte Nachmittag. Wir waren müde, verschwitzt und durstig. Am Busbahnhof stiessen wir auf unfreundliche Ablehnung. Niemand wollte mit Ausländern etwas zu tun haben. Plötzlich tauchte ein Mann auf und lud uns zu sich nach Hause ein. Misstrauisch folgten wir ihm. Er bezahlte uns die Dusche im Badehaus, dann assen und tranken wir bei ihm zuhause. Anschliessend begleitete er uns in die Stadt. In mehreren Hotels versuchte er vergeblich ein Zimmer für uns zu bekommen. Bis wir zum Amir Kabir kamen. Erst später erfuhren wir, dass dies wohl der einzige Ort in Teheran war, der Ausländer noch aufnahm. Es war der Treffpunkt der Backpacker von West nach Ost und umgekehrt. Ein arabisch gekleideter Typ mit langen Haaren trug die ganze Zeit ein Äffchen auf seiner Schulter. Er war auf dem Heimweg nach Europa. Und der Star, besonders für die Frauen.

Der burj-e azadi (Freiheitsturm) war noch unter dem Namen Shayad (Denkmal des Shahs) bekannt. Er war 10 Jahre zuvor zum 2500jährigen Jubiläum der Schah-Dynastie erbaut worden. Jetzt waren die Marmorplatten mit Anti-Schah-Sprüchen verschmiert. Mit Luftgewehren konnte man für ein paar Rials auf Bilder der Schah-Familie schiessen. Auch die Banknoten trugen noch deren Konterfeis. Wir erhielten eine, auf der dem Schah mit Kugelschreiber Hörner aufgemalt worden waren.

Das Stadtzentrum war voll von zerschossenen, ausgebrannten Gebäuden. Geschäftsleute in Anzug und Krawatte stiegen über Schutt und Scherben. Einmal wurden wir in ein Büro eingeladen, zu Tee und Coca Cola. Immer wieder wurde uns erzählt, wie schlimm die Diktatur unter dem Schah gewesen sei, und wie glücklich man war, dass der Ayatollah Khomeini nun zurückgekehrt sei. An Zaun und Wänden der Universität hingen Bilder von Folteropfern der Geheimdienste unter dem Schah.

Wir hatten realisiert, dass wir mit viel zu schwerem Gepäck reisten. Eines Abends legten wir alles, was wir nicht wirklich brauchten, auf dem Trottoir vor dem Hotel zum Verkauf aus. Sofort waren wir umringt von Jugendlichen. Noch während Alex mit den einen um den Preis feilschte, machten andere sich mit Jeans, Hemden und anderem davon.


Zollstation Iran – Pakistan. Ein Zaun, ein paar Lehmhütten. (Taftan), 1979

Auf der Zollstation wurde das Gepäck genauestens durchsucht. Ich hatte etwa 100 Diafilme dabei, das weckte Misstrauen. Nur mit einer Spezialbewilligung dürfe ich diese nach Pakistan einführen, hiess es. Die Bewilligung würde mir auf einem Konsulat erteilt. Oder in Quetta, mehr als eine Tagesreise durch die Wüste. Als ich versuchte, das Problem mit ein paar Rupees zu lösen reagierten die Zöllner heftig. Was ich eigentlich glaube, wer sie seien, etc. Schliesslich wurden die Filme verpackt, versiegelt und die Ware in meinem Pass eingetragen. Ich müsse nachweisen, dass alles wieder ausgeführt werde, hiess es. Bei der Ausreise nach Indien interessierte sich kein Mensch mehr dafür, weder für die Filme, noch für den Eintrag im Pass.

Eine der Lehmhütten diente als Restaurant. An Wänden, Decke, Boden, Tischflächen klebten Heerscharen von Fliegen. Alles war voll von Fliegen, schwarz von Fliegen. Bewegte sich jemand, stob für einen Augenblick ein Schwarm Fliegen in die heisse Luft, um sich gleich darauf wieder nieder zu lassen.
Zum Znacht gab es Fladenbrot und eine Brühe mit ein paar undefinierbaren Fleischbrocken darin. Da es scharf gewürzt war machten wir uns keine grossen Sorgen. Mit uns waren noch zwei Walliser, die auch nach Indien wollten, und zwei Typen, die wohl schon sehr lange Zeit unterwegs waren. Sie hatten kein Geld und versuchten, Essen von anderen abzubetteln. Das machten sie total unverfroren. Sie schienen nichts mehr zu verlieren zu haben, aber die Rückkehr nach Europa zu fürchten.

Hinter dem Restaurant befand sich ein Hof mit Nischen in der umgebenden Wand, die als Schlafzimmer dienten. Wir belegten eine davon, zusammen mit den Wallisern, aber es war so stickig heiss, dass wir die Schlafmatten in den Hof verlegten und, wie die meisten, unter freiem Himmel zu schlafen versuchten. Am Unterschenkel hatte ich einen Dolch befestigt, für alle Fälle…

Im klapprigen Autobus rasten wir durch die Wüste, mal auf dem Dach, mal in der Kabine. Bequem war es nirgendwo. Aus dem Lautsprecher schepperte Dalida’s «Salma ya salama». Riesige Löcher in der Pistenstrasse waren manchmal mit Steinen markiert, manchmal auch nicht. Oft fuhr der Bus weit neben der Piste, das war weniger riskant.
Kurz nach Mittag war Endstation. Es werde ein anderer Bus kommen und uns nach Quetta bringen… Unter der heissen Sonne warteten und hofften die Buspassagiere, niemand wusste etwas Konkretes. Wir hatten seit Zahedan einen 20l-Beutel Wasser dabei. Das konnte für uns allein einige Zeit reichen, aber nicht für alle, die nun da warteten.
Es kam tatsächlich ein anderer Bus und nahm uns mit. Wir rasten durch die Nacht und erreichten Quetta am folgenden Vormittag.


Pakistan, 1979

Diebstahl im Zug l
Kurz nach der Abfahrt aus Quetta grosse Unruhe im Zug. Einem Deutschen sollen Pass, Geld und Checks gestohlen worden sein. Eine viertel Stunde später tauchte die Beute wieder auf. Gleich darauf wurde eine Gruppe Jugendlicher von Polizisten durch den Waggon geprügelt. Der Zug hielt an, und die Jungs wurden unter weiteren brutalen Schlägen in einen wartenden Gefängniswagen verladen.

Lahore
Wir haben Berichte gehört, dass in Backpacker Hotels Drogen versteckt werden und die Backpacker dann von Polizei und Hotelbesitzer erpresst werden. So sind wir bei der Wahl äusserst vorsichtig, filzen unser Zimmer peinlichst, finden tatsächlich Heroinbesteck, das wir aus dem Fenster werfen, und lassen niemanden mehr eintreten. Erst nachdem wir ein eigenes Schloss angebracht haben verlassen wir das Zimmer.
In Quetta ist es mir tatsächlich passiert, dass ein Riksha-Fahrer mir eine kleine Menge Shit verkauft hat. Abends im Zug patrouillierte Polizei durch die Waggons, einer kam gezielt auf mich zu. Schnell hatte er den Stoff gefunden, und ich musste ihm alles Bargeld aushändigen, das ich auf mir trug. Zum Glück war es nicht mehr sehr viel.


Indien, 1979

Diebstahl im Zug ll

Wir hatten eine nächtliche Zugreise von Amritsar nach Delhi hinter uns. Der Zug war proppenvoll, wir konnten nur Stehplätze ergattern. Im Laufe der Nacht fanden die meisten aber doch eine etwas bequemere Lage. Als wir in Delhi den Bahnhof verliessen, brachte mir jemand meine 20$-Reisechecks! Der lederne Beutel, den ich um den Hals trug, war an der Unterseite aufgeschnitten worden und die 50$-Checks waren weg! Reisechecks werden von der Bank ersetzt, aber es war ein tagelanges aufwendiges Prozedere, bis alles geregelt war.

Postkarten versenden (Delhi)

Am ersten Schalter erhält man Auskunft über die Tarife. Am zweiten Schalter kauft man die Briefmarken. Am dritten Schalter kann die Post aufgegeben werden.

Gesundheit l

In Delhi befiel uns fast augenblicklich der Durchfall. Wir lagen auf unseren Pritschen in Old Delhi und wechselten uns ab in der Benutzung des Plumpsklos.
Es war Vor-Monsun, tagsüber herrschten Temperaturen weit über 40°. Kübelweise gossen wir Wasser auf den Boden und liessen den Deckenventilator laufen, in der vergeblichen Hoffnung, das Verdunsten würde etwas Kühlung bringen. Selbst das Wasser aus der Leitung war über Körpertemperatur.

Wenn nichts zu erledigen war, verliessen wir das Zimmer erst abends. In den engen Gassen der Altstadt herrschte dichtes Gedränge, hupender Verkehr, Kuh, Ochse, Schaf dazwischen, Affen turnten an den Fassaden.
Nach Einbruch der Dunkelheit gab es nur noch Petrollampen und Kerzen und Steinkohleglut an den Marktständen. Menschen bewegten sich als schemenhafte Schatten.